Zwei interessante Zeitungsartikel zum Thema “Neuübersetzungen von kanonischen Texten”, das vor mehreren Jahren bereits ausgiebig am Beispiel von Svetlana Geiers Änderung von Dostojewskis “Schuld und Sühne” in “Verbrechen und Strafe” diskutiert wurde.
Nun ein Interview in der Presse (vom 6.2.2020) mit dem Russisch-Übersetzer Alexander Nitzberg, der Bulgakows “Hundeherz” in “Das hündische Herz” umgewandelt hat. Auf die Frage, ob es beim Neutiteln auch darum geht, eine Duftnote zu setzen, antwortet er:
“Auf jeden Fall. Ein neuer Titel ist auch ein wenig ein Markenzeichen. Und die Chance, eine Facette zu unterstreichen. Titel haben etwas Magisches, sie sind Fenster zum Leser.”
Der zweite Artikel ist eine sehr kritische Rezension von Sebastian Fasthuber im “Falter” (https://shop.falter.at/detail/9783956143182) und betrifft die Neuübersetzung von Margaret Mitchells “Vom Winde verweht” – neu: “Vom Wind verweht”.
“Der Roman umfasst nicht weniger als 1300 Seiten. Für Aufregung sorgt jedoch die Tilgung eines einzigen Buchstabens im Titel. Das soll Modernität signalisieren, Pathos war gestern. Gleichzeitig handelt es sich um einen schlauen Schachzug, der dem Buch viel Raum im Feuilleton sichert… und dafür gesorgt hat, dass über den häufig ausgeblendeten Faktor Übersetzung geredet wird.”
“Für Übersetzer ist es neben Eigenpromotion eine Gelegenheit, Werbung für ihre Zunft zu machen, die in der Regel schlecht bezahlt und unbedankt vor sich hin werkelt.”
Im besagten Fall stuft der Rezension die Neuübertragung jedoch nicht als “geglückte Arbeit” ein und belegt dies anhand zahlreicher Beispiele.
Revolution eines Berufstandes? Allen, die noch vor kurzem mitleidig/herablassend über Google-Translator gelacht haben, wird das Lachen bald vergehen. DeepL erscheint wie ein Quantensprung beim automatisierten Übersetzen. Selbstverständlich eignet es sich für manche Textsorten besser als für andere und vor allem muss man beide Sprache selbst sehr gut beherrschen, um die erstklassigen/guten/mangelhaften Lösungen und vor allem auch die (naturgemäß) haarsträubenden Fehler erkennen zu können, aber die Ergebnisse sind erstaunlich bis erschreckend gut. Übersetzen wird bald zu einer Art Post-Editing werden, ob uns das gefällt oder nicht, diese Frage stellt sich bald gar nicht mehr.
Einschlägige Artikel zum Thema: https://de.wikipedia.org/wiki/DeepL
Schon wieder ein Einzelfall: ORF, ZIB 1, Samstag, 13.4.2019, von einer Kollegin urgiert
Heutige ZIB 1: ”76. Maigret-Roman erscheint auf Deutsch”
Mich würde interessieren, durch welchen Zauber dieser Roman plötzlich auf Deutsch erscheint – wundersame Selbstübersetzung, Google-Translate, Einzelmännchen? Oder durch die Arbeit eines Menschen, dessen Beruf ”Literarischer Übersetzer” heißt und der womöglich einen Namen trägt (Thomas Bodmer)? Nur dass Sie es nicht für notwendig erachten, diesen zu nennen. Das ist letztklassig!
Mit verärgerten Grüßen
Françoise Guiguet